Anfang 1984 wird Lydie Schmit mit der Diagnose „Krebs“ konfrontiert. Währenddessen kündigt sich der Wahlkampf zu den National- und Europawahlen vom 13. Juni 1984 an. Trotz ihrer gesundheitlich dramatischen Lage und einer für Juli anstehenden schweren Operation kandidiert Lydie Schmit für die Europawahlen. Lydie Err berichtet, dass ihr ein Lungenflügel entfernt werden musste. ls.art6Lydie Schmit verzichtet – für viele unverständlich – auf eine anschließende Chemotherapie. Nur kurz nachdem Lydie Schmit ihre Operation überstanden hat, beginnt mit der Annahme ihres Mandats als europäische Abgeordnete ein neuer wichtiger Lebensabschnitt. Später wird wird sie sagen: „[D]as so oft zu Unrecht belächelte E.P. ist das beste und schönste Parlament der – ach so wertlos gewordenen Welt. Im E.P. kann man (wenn man will) noch für Prinzipielles kämpfen […]: nicht nur für unsere Umwelt […], sondern für ausgleichende Gerechtigkeit (Nord-Süd) und in Ost-West für den dazu bitter notwendigen ‚Grossen‘ Frieden.“

In den drei Jahren politischer Aktivität im Europa-Parlament kommt es nicht zu großen öffentlichen Auftritten. Dagegen knüpft Lydie Schmit Kontakte mit vielen Abgeordneten und beteiligt sich an offiziellen Reisen, vor allem in Länder des Ostblocks oder der Dritten Welt. Das EP-Mandat, aber auch die Aktivität in der SIW sorgen dafür, dass Lydie Schmit zu einer Nomadin wird. Ein internationales politisches Treffen reiht sich an das andere, eine Reise in ferne Kontinente jagt die nächste.

In einer ihrer biografischen Notizen situiert sich Lydie Schmit selbst „à l’aile gauche du parti surtout en ce qui concerne ses positions dans la politique étrangère“. Sowohl Lydie Schmits Aktivität in der Sozialistischen Internationale und Fraueninternationale als auch, ab 1984, ihr Mandat als Europaabgeordnete verstärken die Tendenz in Richtung internationalistischer und europäischer Positionen gegenüber dem früher bezogenen nationalen Standpunkt. Durch ihre internationalen Kontakte – und damit verbunden ihren schrittweisen Rückzug aus der Luxemburger Politik – radikalisiert sie sich vor allem in der Frauen- und in der Friedenspolitik. Von Beginn ihres Engagements an verfolgt sie die Entwicklung linker und alternativer Bewegungen. Ihre zahlreichen Aufenthalte in den Ostblock- bzw. den blockfreien Staaten deuten auf ein spezifischeres Interesse an real existierenden Formen von Sozialismus hin.

Ihre letzte größere Reise führt sie im November 1987 nach Moskau, zu den Feierlichkeiten anlässlich des siebzigjährigen Jubiläums der Oktoberrevolution. In ihren Notizen zu dieser Reise fällt kein Wort über eine Verschlechterung ihres persönlichen Zustands. Aber Anfang Januar 1988 sucht sie erneut einen Lungenspezialisten auf. Die Krankheit hat sie eingeholt. Am 7. April 1988 stirbt Lydie Schmit im Alter von 49 Jahren.