Luxemburgische Schülerzeitungen im Spiegel der Zeit

Wer von Zeitungen spricht, meint damit in der Regel die großen nationalen und internationalen Printmedien, die uns täglich oder wöchentlich von mehr oder weniger wichtigen Ereignissen und Entwicklungen berichten. Für die meisten von uns stellten jedoch nicht die großen kommerziellen Periodika den ersten Kontakt mit der Gattung der Zeitung dar, sondern die sogenannten Schülerzeitungen, jene periodisch erscheinenden schriftlichen Erzeugnisse aus der Feder von Schülern der Sekundarstufe, die in regelmäßigen Abständen auf dem Schulgelände angeboten wurden und noch immer werden.
Schülerzeitungen wurden und werden in erster Linie von Schülern für Schüler verfasst und bilden damit ein wichtiges kreatives Sprachrohr der luxemburgischen Schülerschaft. Sie erlauben einen Einblick in die Prioritäten, die politischen und sozialen Forderungen, die kreativen und sprachlichen Ausdrucksweisen, die Generationenverhältnisse sowie die Ängste und Wünsche einer spezifischen Bevölkerungsgruppe; um nur einige zu nennen.
Die Vielfalt der Erkenntnisse, die sich aus ihrer Auswertung ergeben, machen die Schülerzeitungen damit zu einer bedeutenden Quellengattung der historischen Forschung. Doch stellt man mit Erstaunen fest, dass sich bisher keine historische Untersuchung ausgiebig mit den Schülerzeitungen auseinandergesetzt hat. Eine systematische Auswertung blieb aus. So fanden Schülerzeitungen einzelner Schulen bestenfalls eine kurze Erwähnung in den Jubiläums-Schriften der jeweiligen Bildungseinrichtungen.
Trotz immerhin mehr als 50 verschiedener Schülerzeitungen, welche ab der zweiten Hälfte des 20 Jahrhunderts veröffentlicht wurden, kam lediglich D`Rod Wullmaus in den Genuss mehrerer wissenschaftlicher Betrachtungen. Die Zeitung dürfte auch heute noch allen, die in den siebziger Jahren politisch interessiert waren, ein Begriff sein, wurde sie doch zu einem Sprachrohr eines Teils, der sich politisch nach links orientierenden Jugend. D`Rod Wullmaus bildet jedoch nur die sprichwörtliche Ausnahme der Regel.
Angesichts des Forschungsstandes und der sich aus einer Untersuchung vermutenden vielfältigen Erkenntnisse zu einer bisher in der luxemburgischen Geschichtsschreibung vernachlässigten Bevölkerungsgruppe, hat sich dieses Forschungsprojekt die systematische Untersuchung der Schülerzeitungen zwischen 1945 und 2015 zum Ziel gesetzt.
Das Projekt konzentriert sich dabei auf einige ausgesuchte Aspekte:
Eine große Bedeutung wird der Entwicklung der Schülerzeitungen beginnend mit der Nachkriegszeit bis in die Gegenwart beigemessen.  Untersuchungen der Entwicklungen der Schülerzeitungen erlauben nicht nur Rückschlüsse über die Beweggründe der Entstehung der einzelnen Zeitungen oder ihre Laufzeiten, sie ermöglichen es auch, die Entwicklung der optischen und inhaltlichen Gestaltung der Schülerzeitungen zu verfolgen.
Von besonderem Interesse ist die inhaltliche Auseinandersetzung mit den Schülerzeitungen. Hier gilt es zu erforschen, welche Themen und Fragen die Schülerzeitungen zu bestimmten Zeitpunkten aufwarfen, und wie sich die, in den Zeitungen vertretenen Meinungen und Standpunkte im Laufe der Zeit wandelten. Als Beispiel sei nur das Bild der Schülerin genannt, deren Perzeption sich im Verlauf des Untersuchungszeitpunktes radikal wandelt.
Neben dem äußeren und inneren Erscheinungsbild und seiner Genese interessiert sich das Projekt in einem weiteren Schritt für die verschiedenen Akteure der Schülerzeitungen. Wie wurden zu früheren Zeitpunkten und wie werden gegenwärtig Schülerzeitungen überhaupt hergestellt? Wie setzten und setzen sich die Schulredaktionen zusammen?  Welche Entscheidungsmechanismen von der Gründung der Zeitung bis zum Erscheinen einer Ausgabe lassen sich feststellen? All dies sind Fragen, die direkt mit den Handlungsträgern verbunden sind. Doch wer waren diese Handlungsträger eigentlich? Handelt es sich um eine Gruppe „Idealisten“? Finden sich ehemalige Akteure auch heute noch in Zeitungsredaktionen wieder, bzw. sind die Personen weiterhin an einem öffentlichen Diskurs beteiligt? Neben wichtigen Hinweisen in den Schülerzeitungen und den Schularchiven selber, geben Interviews beteiligter Akteure entscheidende Einblicke.
Wer nach den Handlungsträgern fragt kommt nicht umhin auch mögliche Konflikte zu beleuchten. Schülerzeitungen waren in den politisch aufgeladenen 70er Jahren auch ein Konfliktinstrument zwischen Schülern und Schulleitungen. In den Schülerzeitungen finden sich interessante Erkenntnisse über Konflikte zwischen den Redaktionen einzelner Schülerzeitungen, zwischen den Verfassern einzelner Artikel und der jeweiligen Schulleitung aber auch zwischen der Redaktion und Dritten. Die Redaktionen einzelner Schülerzeitungen wurden Ziel von Anzeigen. Der Vertrieb einzelner Schülerzeitungen auf dem Schulgelände wurde verboten.
Gerade solche Konflikte zeigen, dass Schülerzeitungen weit mehr als reine Unterhaltungsmedien der jeweiligen Schulen waren. Das Forschungsprojekt versucht diesem Umstand gerecht zu werden und dieses, nach dem Abitur von den Meisten von uns leider viel zu häufig in Vergessenheit geratene Medium stärker in das öffentliche Bewusstsein zu rücken.

Marc Birchen